JULI
FREMDE NASSE HEIMAT
JENSEITS DES WASSERSPIEGELS BEGINNT EINE ANDERE WELT
Unter Wasser sind wir Menschen nicht mehr in unserem Element, mögen wir auch zum größten Teil selbst aus Wasser bestehen. Die Wüsten, Berge und Wälder sind erforscht und vermessen, die kartografisch weißen Flecken auf der Erde unter dem untrüglichen Blick der Satellitenkameras gescannt und ausgefüllt.
Nur die Unterwasserwelt ist immer noch zu großen Teilen eine terra incognita für uns geblieben, die wir immer wieder nur für kurze Zeit besuchen können. Fremd mitten in der Heimat sind uns auch die Unterwasserlandschaften Oberösterreichs mit ihrer aquatischen Fauna und Flora. Reich bevölkert ist diese fremde Heimat, in der es so wie zu Lande ebenfalls Migration gibt.
Transit unter Wasser
Speziell die Donau ist eine Transitroute ersten Ranges – oder besser gesagt auf bestem Weg dazu, wieder eine solche zu werden. Kraftwerksbauten und Regulierungen haben dem Fluss viel von seiner einst mächtigen Strömung genommen und die Lebensbedingungen der über 50 hier heimischen Fischarten massiv verändert. Vor allem für wandernde Fische waren die Kraftwerke unüberwindliche Hindernisse. Doch mit der Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie entstehen allerorts Fischtreppen, die den Weg zwischen Oberösterreich und Schwarzem Meer für Langstreckenreisende wieder zunehmend frei machen.
Zum Beispiel für den Sterlet, den letzten bei uns verbreiteten Stör. Bald, so sind Naturwissenschaftler zuversichtlich, werden auch die Nasen und die Blaunasen wieder zum Laichen in den oberösterreichischen Donauabschnitt ziehen.
Die Perle Oberösterreichs
Ein noch seltenerer Exot als der Sterlet ist die Flussperlmuschel, die ihr Nischendasein unter anderem in der Naarn fristet. Sie ist ein sehr empfindliches Wesen, das nur unter ausgesuchten Bedingungen gedeiht: kaltes, klares und absolut sauberes Wasser braucht sie, das arm an Kalk und reich an Sauerstoff sein muss. Reges Sammeln und Wasserverschmutzung haben sie in den letzten Jahrzehnten fast aussterben lassen. Bis zu 100 Jahre alt wird die Muschel bei uns, im hohen Norden sogar 200 Jahre. Für ihre Fortpflanzung ist sie auf die ebenfalls empfindlichen Bachforellen angewiesen, in deren Kiemen sich die Muschellarven einnisten, bevor sie sich ins Bachsediment fallen lassen.
Wilde Schmelzwasserwellen
Oberösterreichs Unterwasserwelt ist hell und seicht wie ein Wiesenbach oder geheimnisvoll-dunkel und 170 oder mehr Meter tief. Sie ist glasklar oder trüb, still und glatt oder tosend und laut wie ein Wasserfall. Etwa dann, wenn zur Schneeschmelze das Wasser aus den Bergen kommt und die Wellen auf der Traun vier Meter hoch schlagen. Der landschaftliche Reichtum unter Wasser braucht den Vergleich mit jenem an Land nicht zu scheuen. Steile Wandabbrüche, Unterwasserhöhlen und Grotten, flache Terrassen und tiefe Gräben ziehen die Taucher in ihren Bann.
Relikte von früher
Von Kalk und Algen überwachsen findet sich so manches Relikt aus vergangenen Zeiten auf den Seeböden und in den Flussbetten: überflutete Häuser und Treppelwege, jahrhundertealte Wehr- und Triftanlagen, Autos, Waffen, abgestürzte Baumriesen, Waffen und noch so manche Fliegerbombe.
Die Bewohner der nassen Welt kümmert es wenig. Wer weiß wo er suchen muss, entdeckt in den heimischen Wässern leuchtend gelbe Süsswasserschwämme, als tauche er wie in den Tropen. Mehrere hundert Fische zählende Schwärme tummeln sich ebenso im Nass zwischen Gosausee und Großer Rodl wie Einzelgänger vom Schlag des Flusskrebses. Mit Glück und Geduld trifft man auch auf einen der raren Huchen mit ihren imposanten 1,5 Meter Länge oder auf einen kapitalen Hecht bzw. einen der scheuen Groppen.
NATURVERMITTLER/IN IM PORTRÄT
CHRISTIAN BAUER
Was es über die Donau zu wissen gibt: Christian Bauer weiß es. Dass die Donau ein durch Kraftwerksbauten und die Regulierung ab 1850 gezähmter Gebirgsfluss ist. Dass trotz offensichtlicher Andersfarbigkeit so beharrlich von der „schönen blauen Donau“ die Rede ist, weil Walzerkönig Johann Strauß junior eine gleichlautende Zeile aus einem romantischen Gedicht nicht aus dem Sinn wollte.
Ebenso von den Hausen seinerzeit: bis zu neun Meter lange Störe, die am Linzer Fischmarkt beim heutigen Nibelungenbrückenkopf noch um 1930 zu haben waren. Die Hausen sind Geschichte, doch eine kleine Störart namens Sterlet gibt es noch. Wo er laicht und wie er lebt? Christian Bauer weiß es.
TIERPORTRÄT DES MONATS
BIBER
EIN BAUMEISTER MIT BISS
Er ist mit einem Körpergewicht von 30 kg und mehr das größte Nagetier Europas. Seine Vorfahren begannen vor rund 15 Mio. Jahren sich über die nördliche Hemisphäre auszubreiten und mit Ausnahme der Gebirgsbäche so ziemlich alle Gewässer zu besiedeln. An die 100 Mio. Exemplare, vom Polarkreis bis zum Mittelmeer, machten, was sie perfekt wie kein anderes Tier können: die Landschaft gestalten! Bäume fällen, Dämme bauen, Gewässer aufstauen und so ein sich dauernd wandelndes Mosaik aus Feuchtlebensräumen zu gestalten – das ist ihre Stärke. Libellen, Fische und Amphibien profitieren vom fleißigen Biber. Die Freude über die erfolgreiche Rückkehr des vor 150 Jahren ausgerotteten Bibers hält sich bei so manchem Landnutzer jedoch in Grenzen. Der Biber ist zum „Problemtier“ geworden, weil er uns schonungslos aufzeigt, dass unsere Gewässer mehr Platz brauchen.