JULI
AUF TOUR ZU SICH SELBST
JEDE NATURSCHAUSPIELTOUR IST EINE KLEINE ENTDECKUNGSREISE – MITUNTER AUCH ZU SICH SELBST.
Ohne moderne Hilfsmittel Feuer zu machen, Fallen zu bauen oder sich eine Notunterkunft zu bauen: Survivalfähigkeiten wie diese stehen nicht auf dem Vermittlungsprogramm der Naturschauspieltouren. Dennoch lässt sich auf den geführten Wanderungen und Unternehmungen vieles lernen und üben, was den Lebensalltag erleichtert und bereichert.
Sich kompetenter Führung anzuvertrauen, ist ein hervorragender Einstieg in ein Wanderleben auf eigene Faust und Verantwortung. Wie für viele andere Lebensbereiche gilt auch hier: „Wenn du etwas wissen willst, verbringe Zeit mit jemandem, der etwas weiß.“ Schon bewusst in die Fußstapfen eines/r erfahrenen NaturvermittlerIn zu steigen und zu beobachten, wie er oder sie den Tritt setzt und Hindernisse ansteigt, kann eine gute Lernerfahrung sein. Nachahmung ist eine bewährte Lernmethode!
In der Zufallsgesellschaft
Sich führen zu lassen, ist nicht von ungefähr eine beliebte Übung in Kommunikations- und Selbsterfahrungsseminaren. Es lohnt sich, daran das eigene Verhalten im Umgang mit Autoritäten zu beobachten und gegebenenfalls zu hinterfragen: Wie viel Vertrauen ist mir möglich? Wann regt sich Widerspruch in mir? Was brauche ich von einer guten Führung? Was heißt „gute“ Führung überhaupt für mich? Gemeinsam mit anderen unterwegs zu sein, ist stets auch eine Erfahrung in Gruppendynamik. Gleichgültig ob in einer Gruppe, die sich bereits gut kennt oder in einer bunt zusammengewürfelten einmaligen Zufallsgesellschaft. Hier wie dort ist soziale Kompetenz gefragt. Sie äußert sich vor allem in der Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der vermeintlich Schwächeren in der Gruppe wie zum Beispiel der Kinder.
Rollen und Spiele
Wer offenen Auges hinschaut, kann im Lernfeld einer Gruppe aufschlussreiche Erfahrungen und Beobachtungen machen: Wer übernimmt welche Rolle? Auf wen reagiere ich mit Sympathie, wer ist mir weniger geheuer? In welche Rolle schlüpfe ich selber, und warum? Weil ich muss, oder weil ich es mir so aussuche? Wann und wodurch entstehen Konflikte und – die berühmteste aller psychologischen Fragen – wie geht es mir dabei? Wie es einem mit Abweichungen vom Erwarteten geht, zählt zu den ergiebigsten Lehrstunden in der Lebensschule Natur. Sie ist unübertroffen darin, etwa durch Wetterumschwünge oder unvorhergesehene Ereignisse Änderungen des ursprünglichen Plans zu erzwingen. Eine Katastrophe ist das bloß für jene, denen es an Flexibilität fehlt.
Eine Frage der Haltung
Flexibilität ist draußen auch im Umgang mit sich selbst sehr hilfreich. Es kann ungemein befreiend sein, sich von vorformulierten Erwartungen und eigenen Kategorisierungen wie „zu heiß“, „zu kalt“, „zu anstrengend“, „zu lang“ etc. zu lösen. Das gelingt durch den Entschluss, ansonsten als unangenehm Empfundenes einmal bewusst bloß als „interessant“ wahrzunehmen. Dann kann ein leichter Sommerregen oder ein kurzer Barfußgang im Schnee zu einem traumhaften Erlebnis werden. Wie überall sonst im Leben auch, kommt es vor allem auf die eigene Haltung an. Man kann, wie alte Bergsteiger wissen, im Einklang mit dem Berg hochsteigen oder ihn wie einen Feind niederzuringen versuchen. Ans Ziel führen beide Wege, einer allerdings viel leichter und angenehmer. Wiederholte Selbstbeobachtung steigert auch die Fähigkeit, sich aus dem Strom der Gedanken und Fantasien immer wieder in die Gegenwart und an Ort und Stelle zurückzurufen und die Umgebung aufmerksam und sinnlich wahrzunehmen – eine unschätzbare Fähigkeit in Zeiten permanenter Reizüberflutung, die jeden Spaziergang zu einem Abenteuer macht.
NATURVERMITTLER/IN IM PORTRÄT
MARTINA HUEMER
Sie lernte bei und von den Besten: Survival bei Tom Brown Jr. in New Jersey, Montessoripädagogik bei Claus-Dieter Kaul, Botanik und Kräuterheilkunde bei Susanne Fischer-Rizzi und Wolf-Dieter Storl, Waldpädagogik (natürlich) bei Fritz Wolf: Martina Huemer erzählt gerne Geschichten und Märchen, um durch alte Überlieferungen ihr Pflanzenwissen weiterzugeben. Rund 100 Touren führt sie neben ihrer Arbeit in einem Seminarhaus am Attersee jährlich, am liebsten Kinder und Jugendliche. „Die liegen mir einfach am Herzen“, sagt das NATURSCHAUSPIEL-Urgestein, „im unerschöpflichen Raum der Natur erleben sie ihre Abenteuer ganz unmittelbar.“ Dabei Widrigkeiten aushalten zu müssen und den Reiz von Regen und Dunkelheit zu entdecken, das sei – Modestichwort Resilienz – ein großartiges Training.
LANDSCHAFTSPORTRÄT DES MONATS
DER NATIONALPARK KALKALPEN
WILDE VIELFALT IN DEN ALPEN
Der Nationalpark Kalkalpen, eingebettet im Reichraminger Hintergebirge und im Sengsengebirge, zählt zu den größten geschlossenen Waldgebieten Österreichs. Mit 20.856 Hektar dient das Waldschutzgebiet auch als Rückzugsort für seltene Wildtiere und gefährdete Pflanzenarten. 50 Säugetier-, 80 Brutvogel- und 1.560 Schmetterlingsarten sowie mehr als 1.000 unterschiedliche Blütenpflanzen, Farne und Moose werden gezählt. Im Juli 2017 wird der Nationalpark Kalkalpen zwanzig Jahre alt, seine Entstehung begann jedoch schon in den 80er Jahren, als beherzte Menschen das Hintergebirge mit „Besetzungen“ gegen die Zerstörung durch Kraftwerksbauten verteidigten. In die Schlagzeilen geriet zuletzt das bei der Bevölkerung überaus beliebte Projekt zur Rückkehr des Luchses, nachdem einige Männchen aus dem Gebiet verschwunden waren und illegale Abschüsse nachgewiesen wurden.